Blick auf die SWH
Zukunftssicherung parallel zum Krisenmanagement betreiben
2022 war ein turbulentes Jahr für die Energiewirtschaft. Was daraus folgt und was jetzt zu tun ist, erklärt Kerstin Andreae, Vorsitzende der Hauptgeschäftsführung des Bundesverbandes der Energie- und Wasserwirtschaft (BDEW).
Wie würden Sie aus Sicht der Energiewirtschaft 2022 zusammenfassen, und welchen Handlungsbedarf zieht das nach sich?
Kerstin Andreae: 2022 war ein sehr herausforderndes Jahr für die Energiewirtschaft. Seit dem 24. Februar standen die Unternehmen vor Situationen, die zuvor nicht für möglich gehalten wurden. Viele Entscheidungen mussten in kürzester Zeit getroffen und umgesetzt werden: Die Befüllung der Gasspeicher, der Bau von LNG-Terminals und dafür notwendigen Anbindungsleitungen, die Rettung wichtiger Gasimport-Unternehmen, neue Gaslieferverträge, Energieeinsparverordnungen, die Gesetze zu den Energiepreisbremsen, um nur einige Beispiele zu nennen. Zur Erinnerung: 2021 hatte Erdgas aus Russland noch einen Anteil am deutschen Gasverbrauch von rund 55 Prozent. Jetzt fließt gar kein Gas mehr. Dass es trotzdem gelungen ist, die Versorgung zu stabilisieren, ist ein großer Erfolg.
Die Herausforderungen für die Energiewirtschaft bleiben auch 2023 groß. Damit wir unabhängiger von fossilen Energieimporten werden, ist es wichtig, sich jetzt umso stärker auf den Aufbau eines zukunftsfähigen Energiesystems auf Basis Erneuerbarer Energien zu fokussieren. Wir müssen parallel zum Krisenmanagement auch Zukunftssicherung betreiben.
Sie verweisen darauf, dass die Energiewirtschaft klimapolitisch im vergangenen Jahr einen Schritt zur Seite machen musste. Woran machen Sie das fest, und wie lässt sich der Aufbau dieses zukunftsfähigen Energiesystems beschleunigen?
Kerstin Andreae: Um Versorgungsengpässe zu vermeiden, wurden unter anderem auch Kohlekraftwerke, die bereits in der Reserve oder zur Stilllegung vorgesehen waren, reaktiviert und in den Markt zurückgeholt. Das hat erheblich zu einer sicheren Strom- und Wärmeversorgung beigetragen, führte aber auch dazu, dass die Energiewirtschaft im vergangenen Jahr ihr CO2-Einsparziel nur knapp erreicht hat. Es ist daher nicht nur aus Gründen der Unabhängigkeit, sondern auch aus Klimaschutzgründen wichtig, unser Energiesystem zukunftsfähig zu machen. Wir erleben derzeit deutlich mehr Geschwindigkeit beim Ausbau der Erneuerbaren Energien, was gut ist. Dieses Tempo muss sich aber noch erhöhen. Zudem muss der Blick unbedingt auf die Netze und die Infrastrukturen gerichtet werden. Diese sind sowohl für eine stärkere Elektrifizierung anzupassen als auch für die Entwicklung eines Wasserstoffmarktes. Wichtig ist außerdem der Bau zusätzlicher wasserstofffähiger Gaskraftwerke, die als Partner der Erneuerbaren Energien dann einspringen, wenn die Sonne nicht scheint und der Wind nicht weht.
Stadtwerke investieren in Energiewende-Technologien
Worauf sollten sich Stadtwerke in diesem Zusammenhang konzentrieren, und wo liegen ihre besonderen Chancen im sich vollziehenden Wandel?
Kerstin Andreae: Die Krise hat deutlich gezeigt, dass die Transformation schneller gehen muss. Die Erfahrungen aus der Energiekrise führen zur einer Transformationsbeschleunigung insbesondere in den Bereichen Erneuerbare Energien und Wärmeversorgung. Die Stadtwerke sind bereit, in Energiewende-Technologien zu investieren und die Versorgungssicherheit zu stärken. Entsprechend passen sie ihre Investitionsstrategien an und schauen auch, welche neuen Geschäftsfelder ausgebaut werden können. Das Feld der Innovation ist vielfältig. Ausgebremst werden die Stadtwerke dort, wo es keine verlässliche Planungssicherheit gibt als auch die finanziellen Rahmenbedingungen nicht stimmen. Hier ist die Politik gefordert.
Mit den aktuellen regulatorischen Bedingungen sind die Erneuerbaren-Ausbauziele nicht zu erreichen, sagen Sie und erwarten neben mehr Tempo eine positive Gelingenshaltung von der Bundespolitik bis in jede Amtsstube. Welche Veränderungen sind generell im politischen und Verwaltungshandeln nötig, zumal Sie für 2023 daneben ja auch einen Schub bei den Themen Investitionen in Speicher, Wasserstoff, wasserstofffähige Gaskraftwerke und Energienetze fordern?
Kerstin Andreae: Egal, ob für Energiewende, Wärmewende, Verkehrswende oder Wasserstoffhochlauf: Um die Klimaziele zu erreichen, brauchen wir noch viel mehr grünen Strom als wir heute haben. Hier liegt noch viel Arbeit vor uns: Um die Erneuerbaren-Ausbauziele zu erreichen, ist eine Vervierfachung der Ausbaugeschwindigkeit bei Windenergieanlagen an Land und eine Verdreifachung des Photovoltaik-Ausbaus notwendig. Das gelingt nur im Schulterschluss mit Politik, Verwaltung und Behörden. Wir brauchen ein Verantwortungsbewusstsein für die Zielerreichung und schlanke Verfahren auf allen staatlichen Ebenen.
Die Kommunen sind gefragt, schneller ausreichend Flächen zur Verfügung zu stellen. Das gilt im Übrigen nicht nur für die Erzeugungsanlagen, sondern auch für die Netze, damit der erzeugte grüne Strom auch dorthin geleitet werden kann, wo er gebraucht wird. Gleichzeitig brauchen wir ein Marktumfeld, in dem sich die notwendigen Investitionen in Wind- und Solaranlagen, in Netze, in Wasserstoffproduktion und in wasserstofffähige Gaskraftwerke lohnen. Dann kann die Energiewende zum Erfolg werden.
Wärmewende entschlossen und mit Fingerspitzengefühl vorantreiben
In Ihrem ersten Fortschrittsmonitor Energiewende widmen Sie sich in einem Schwerpunkt der „Herausforderung Wärmewende“. Abgesehen von nötigen gesetzlichen Rahmenbedingungen, wie und auf welchem Weg kann die vor Ort gelingen?
Kerstin Andreae: Die Wärmewende muss vor Ort umgesetzt werden. Die Kommunen können in Anbetracht der regionalen Gegebenheiten, der vorhandenen Leitungsinfrastruktur und dem Zustand und Alter der Häuser am besten entscheiden, wie sich die Wärmeversorgung vor Ort schnell und effizient dekarbonisieren lässt. Die große Herausforderung ist es, den Bestand so umzubauen, dass klimaneutral geheizt werden kann. Hier ist Fingerspitzengefühl gefragt. Die Hauseigentümer dürfen weder mit komplexen Anforderungen zur Wärmeversorgung und energetischen Sanierung ihrer Gebäude verunsichert, noch dürfen sie finanziell überfordert werden. Hierfür gibt es keine Lösung von der Stange. Daher ist es zentral, dass die Bundesregierung keine Technologie von vorneherein ausschließt, die künftig klimaneutral Wärme in die Wohnungen bringen kann. Es ist richtig, dass Wärmepumpen und Fernwärme im Zentrum der Wärmewende stehen. Wir brauchen aber künftig bezahlbare praxistaugliche Lösungen und dazu zählen auch gasbasierte (Hybrid-) Systeme – betrieben mit erneuerbaren und dekarbonisierten Gasen, wie Wasserstoff und Biogas.
Halle (Saale) setzt stark auf KWK. Sie plädieren dafür, das KWKG zeitnah zukunftsfähig zu machen. Warum ist das gerade jetzt dringend, und welche Entwicklungsoptionen öffnet eine solche Anpassung für den KWK-Ausbau in den Kommunen?
Kerstin Andreae: Die KWK ist eine tragende Säule für die Erreichung der Klimaschutzziele, weil sie gleichzeitig für die Versorgungssicherheit bei Strom und Wärme sorgen kann. Und sie spielt eine wichtige Rolle im zukünftigen Energiesystem. So geht die Bundesnetzagentur von einem notwendigen Zubau an Gaskraftwerken im Umfang von 17 bis 21 Gigawatt (GW) aus. Diese sollten aus Klimaschutzgründen wasserstofffähig sein und so effizient wie möglich gebaut werden. Damit das gelingt, müssen mit dem KWKG – als bewährtem Förderinstrument – kurzfristig die richtigen Anreize gesetzt werden. Hierzu gehört unter anderem die Verlängerung der Geltungsdauer des KWKGs inklusive seiner EU-Beihilferechtsgenehmigung über das Jahr 2026 hinaus, aber auch die Berücksichtigung der erhöhten Kosten für Umrüstung, Neubau und Einsatz von Wasserstoff in den KWK-Zuschlagshöhen. Dadurch erhalten KWK-Betreiber und Kommunen eine nachhaltige Perspektive und dringend benötigte Investitionssicherheit für die fortschreitende Dekarbonisierung ihrer Strom- und Wärmeversorgung.
Zur Person: Kerstin Andreae, geboren 1968 im Schwarzwald, ist seit November 2019 Vorsitzende der Hauptgeschäftsführung des Bundesverbandes der Energie- und Wasserwirtschaft (BDEW). Zuvor war sie 17 Jahre lang Bundestagsabgeordnete für Bündnis 90/DIE GRÜNEN. Sie war unter anderem wirtschaftspolitische Sprecherin und stellvertretende Vorsitzende ihrer Fraktion sowie Initiatorin des Wirtschaftsbeirates der Partei.