Interview
Transformation braucht neues Vertrauen
Sascha Gläßer, Präsident der Industrie- und Handelskammer Halle-Dessau (IHK) zum Einfluss von Verlässlichkeit sowie Planbarkeit der Energiewende und nachhaltiger öffentlicher Ver- und Entsorgungsstruktur auf die Transformation von Unternehmen und deren Leistungskraft und Wettbewerbsfähigkeit.
Im aktuellen IHK-Energiewendebarometer 2023 ist das Vertrauen der Wirtschaft in die deutsche Energiepolitik auf einen Tiefpunkt gesunken. Was läuft hier schief und wie wirkt sich das auf die Unternehmen in der Region aus?
Sascha Gläßer: Die Unternehmen beklagen fehlende Verlässlichkeit und zunehmend ideologische Herangehensweisen. Statt auf sachlicher Basis unbestrittener Fakten den Rahmen für eine gelingende Energiewende so zu gestalten, dass Klimaschutz und Wettbewerbsfähigkeit in Einklang gebracht werden (können), scheinen oftmals eher parteipolitische Erwägungen das Regierungshandeln zu bestimmen. Die preisliche Wettbewerbsfähigkeit ist aktuell nicht mehr gegeben. Deshalb sind viele Unternehmen – insbesondere in der Industrie – aktuell sehr zurückhaltend mit weiteren Investitionen in der Region. Der Standort fällt daher international zurück.
Zu den hausgemachten Problemen kommen internationale Krisen. Eine wachsende Zahl von Unternehmen sieht vor diesem Hintergrund ihre Wettbewerbsfähigkeit infrage gestellt. Was muss sich an den Rahmenbedingungen ändern?
Sascha Gläßer: Wir brauchen eine angebotsseitige Reformagenda oder anders gesagt: Die Kostenbelastung der Unternehmen am Standort muss gesenkt werden. Das bezieht die angesprochenen Energiekosten mit ein, erstreckt sich aber auch auf Arbeitskosten und die Steuerbelastung, die ebenfalls im internationalen Vergleich nicht mehr wettbewerbsfähig sind – vom deutschen Bürokratismus ganz zu schweigen. Und es braucht generell mehr Konstanz und Verlässlichkeit in der Wirtschafts- und Energiepolitik – ein Bundeswirtschaftsminister, der offen zugibt, einfach mal verschiedene Ideen an Bürgern und Unternehmen „ausgetestet“ zu haben, zeigt das Gegenteil von verlässlichem und verantwortlichem politischen Handeln. Er verspielt Vertrauen und dämpft Investitions- und Konsumlaune durch völlig unnötige Verunsicherung.
Planbarkeit und Verlässlichkeit
Stichwort „Planbarkeit und Verlässlichkeit“: Auch Halle (Saale) steckt mitten im Umbau der Energieversorgungsinfrastruktur, maßgeblich vorangetrieben von den Stadtwerken und der Energie-Initiative Halle (Saale). Welche Chance liegt aus Ihrer Sicht in diesem kooperativen Ansatz? Schafft die SWH durch ihre Geschwindigkeit Standortvorteile?
Sascha Gläßer: Durch solche Kooperationen werden Synergieeffekte erzielt. Angesichts der enormen Kosten der Energiewende ein durchaus sinnvoller Ansatz. Und die Geschwindigkeit der Umsetzung ist natürlich ein relevanter Standortfaktor, wenn es um Ansiedlungs- oder Erweiterungsvorhaben geht.
Welche Prioritäten setzt die Wirtschaft in diesem Umbau und was erwartet sie von einer transformierten (öffentlichen) Energieversorgungsinfrastruktur – aber auch von der noch zu transformierenden öffentlichen Verkehrsinfrastruktur (ÖPNV)? Welche Rolle kommt den Sektoren Wasser/Abwasser/Abfall zu?
Sascha Gläßer: Der Investitionsstau in der Wasser- und Abwasserinfrastruktur muss weiter abgebaut werden, denn die Herausforderungen nehmen nicht ab: Zum einen muss die Infrastruktur für zunehmende Starkregenereignisse ertüchtigt werden. Zum anderen benötigen Unternehmen auch in Dürreperioden eine jederzeit gesicherte Trinkwasserversorgung in höchster Qualität. Auch bei der Abfallentsorgung ist der Investitionsbedarf hoch, wenn die Weiterentwicklung zu einer echten Kreislaufwirtschaft – also mit verstärktem Recycling – gelingen soll. Zu guter Letzt ist auch ein leistungsfähiger und bedarfsgerechter ÖPNV ein wichtiger Standortfaktor. Mit Blick auf die Stadt Halle (Saale) wäre vorbehaltlich einer gesicherten Finanzierung die Taktverdichtung der Straßenbahn auf einen durchgehenden Zehn-Minuten-Takt wünschenswert.
Das beste Mittel für die Steigerung der Attraktivität von entsprechenden Investitionen ist aber der finanzielle Erfolg der Energiewende an sich.
Kommunen sind jetzt selbst verantwortlich für die sogenannte Wärmeplanung. Wie kann dieses Instrument dazu beitragen, dass wieder mehr Planbar- und Verlässlichkeit in den Transformationsprozess einzieht?
Sascha Gläßer: Bei solch einem ambitionierten Vorhaben ist es zunächst wichtig, dass der Austausch mit allen Beteiligten gesucht wird. Ziele sind zu erläutern und Wege zu diskutieren, um gegenseitiges Vertrauen zu schaffen. Und auch hier geht es den Unternehmen letztlich um Planbarkeit: Sie müssen wissen, wie es mit ihrer eigenen Energieversorgung weitergehen könnte – zum Beispiel, welche Leitungen wo bis wann zur Verfügung stehen – damit auch die nötigen eigenen Investitionen angegangen werden können.
Energiewende
Lassen Sie uns noch einen Blick auf die Finanzierung der Energiewende werfen. Experten prognostizieren den Investitionsbedarf allein bis 2030 auf 721 Milliarden Euro. Marija Kolak, Präsidentin des Bundesverbandes der Deutschen Volksbanken und Raiffeisenbanken, hat dem Gesetzgeber gerade empfohlen, Erleichterungen bei der Kreditvergabefähigkeit von Banken und Sparkassen zu prüfen, statt diese mit zusätzlichen Kapitalpuffern noch weiter einzuschränken. Wie begleitet die regionale Kreditwirtschaft die Transformation und wo ist sie dabei schon jetzt von solchen Einschränkungen betroffen?
Sascha Gläßer: Investitionen in die Energiewende sind nicht automatisch rentabler als andere. Im Gegenteil: Sie dürften aufgrund eines höheren Risikos bei neuen Technologien und unsicherer Marktentwicklung für Investoren tendenziell sogar weniger attraktiv sein. Eine Absenkung von Risikounterlegungen ist nicht sinnvoll, denn das Risiko ist angesichts des schwierigen Umfelds der Energiewende ja eigentlich sogar höher. Es wäre die falsche Stellschraube und könnte Anlegervertrauen nachhaltig schaden.
Im Bereich der Versorger fallen aus heutiger Sicht mit Abstand die höchsten Investitionen an. Der daraus entstehende Bedarf kann nicht nur durch Fremdkapital gedeckt werden. Ganz im Gegenteil, Eigenkapital ist immer der Hebel, um Investitionen möglich zu machen und Unternehmen auf gesunde Füße zu stellen. Daher muss die Politik auch überlegen, wie sie das Eigenkapital der Versorger stärken kann, sei es durch eine Stärkung der Thesaurierungsfähigkeit oder zielgerichtete Programme der Förderbanken im Bereich der Nachrangprodukte.
Das beste Mittel für die Steigerung der Attraktivität von entsprechenden Investitionen ist aber der finanzielle Erfolg der Energiewende an sich. Dafür brauchen wir endlich eine verlässliche, technologieoffene und innovationsfreundliche Wirtschaftspolitik – was sinnvoll ist, wird viele Anleger finden. Qualität setzt sich am Ende durch. Das gilt im Grunde überall – warum nicht auch in der Politik?!
Angesichts des o.g. enormen Finanzierungsbedarfs wird zunehmend auch ein „Investitions-Turbo“ für die Energiewende in Deutschland gefordert. Wie kann es gelingen, dafür neben Kreditfinanzierungen auch mehr privates Kapital zu mobilisieren?
Sascha Gläßer: Die Tatsache, dass das Angebot und auch das Volumen nachhaltiger Anlageprodukte in den letzten Jahren deutlich gestiegen ist, zeigt, dass dies von privaten Anlegern nachgefragt wird. Sollte das Volumen nicht ausreichen oder die Nachfrage nachlassen, müssen handfestere Gründe als das „gute Gewissen“ gefunden werden. Ideal wäre wiederum der finanzielle Erfolg der Energiewende wie schon beschrieben. Alternativ könnte der Staat aber diese Anlagen auch steuerlich fördern, z. B. über einen Rabatt auf die Abgeltungssteuer.